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AutorenbildMargret Madelung

Von der rätselhaften Fähigkeit, ohne Schulterstütze und Kinnhalter Geige zu spielen

Barockgeige lernen! Das war schon immer und irgendwie ein Traum, da ich seit vielen Jahren eigentlich nur noch klassische Musik auf historischen Instrumenten höre. Meine eigene musikalische Praxis spielte sich aber weiterhin auf einer modernen Geige ab. Einerseits habe ich es so als Kind gelernt und andererseits war es auch durch die Möglichkeiten des gemeinsamen Musizierens bedingt, denn Amateur-Barockmusiker gibt es auf dem Land eher selten.

 

Als sich dann vor 3 Jahren zufällig die Gelegenheit auftat bei einem Amateur-Kammermusikkurs für barockes Instrumentarium mitzumachen, stürzte ich mich spontan ins Abenteuer. Von einem befreundeten Geigenbauer konnte ich mir eine Barockgeige ausleihen und einen Bogen besaß ich bereits länger. Allerdings montierte ich natürlich meinen Kinnhalter auf die Geige und die Schulterstütze kam auch mit in den Geigenkoffer. Ohne diese Hilfsmittel wie bei den Profis …? Undenkbar!!!

 

Der Kammermusik-Kurs begeisterte mich so sehr, dass ich unbedingt weiter Unterricht nehmen wollte. Auch schien es mir eine gute Gelegenheit, meine Probleme mit meinem Daumen der linken Hand anzugehen. Er hatte laut Orthopädin eine Arthrose im Grundgelenk entwickelt und tat mir vielfach weh wenn ich länger Geige spielte. Daher schien es mir eine hoffnungsvolle Sache, mit dem Umlernen auf Barockgeige vielleicht auch die Daumenprobleme los werden zu können! Bei der ersten privaten Geigenstunde wurde dann klar, dass ich von Grund auf meine Haltung ändern, und dass natürlich auch der Kinnhalter und die Schulterstütze verbannt werden mussten!

 

Die nachfolgenden Wochen und Monate mit dieser nackten Geige und ohne all die schönen Klänge der mitspielenden Instrumente im Kurs waren deprimierend. Sie wollte keineswegs auf meinem Schlüsselbein liegen, so wie es die Geige meiner Lehrerin so wunderbar und überzeugend tat. Nur noch mit einem lächerlichen Kinnhalter-Ersatz in Form eines dünnen Lederlappens bewehrt, wackelte sie bei jedem Bogenstrich hin und her wie ein Ferkelschwänzchen! Ich schob sie wochenlang von meiner Schulter Stück für Stück entlang des Schlüsselbeins Richtung Brustbein, höher, tiefer, mehr schräg, gerader, nach links, nach rechts, runter Richtung Achsel, das Kinn links vom Saitenhalter, rechts vom Saitenhalter, auf den Saitenhalter, vorne am Kinn, links am Kinn, mehr am Ohr …? Nichts, aber auch gar nichts führte zu Festigkeit und Sicherheit!! Dazu kam dann noch der völlig andere Klang der Darmsaiten, die genauso gnadenlos auf ungeübtes und ungeschicktes Streichen reagieren wie die Kinnhalter- und Schulterstützenlose Geige auf eine sperrige und ratlose Schulterpartie – ganz zu schweigen von einem linken Arm, der das alles zu halten versucht und bald protestiert! Ich fühlte mich als komplette Anfängerin auf einem Instrument, das ich seit mehr 45 Jahren spiele!!

 

Meine Geigenlehrerin empfahl mir, möglichst viel die Geige zwischen Hals und eine Wand oder ein Regal zu klemmen, damit sich die linke Hand und speziell der Daumen entspannen, und sich auf diese Weise langsam eine Vorstellung entwickeln kann, wie es sich mal anfühlen könnte. Dies verschaffte mir eine gewisse Entlastung, da ich mit dieser Lösung zumindest etwas Literatur üben konnte! Gleichzeitig studierte ich, wie es andere machen. Auf Youtube gibt es jede Menge Filme mit Barockgeigern - und jeder macht es etwas anders! Eine besonders interessante Lösung war diejenige einer Geigerin, die ihre Geige einfach mit einem schönen Seidenschal, den sie unter dem Saitenhalter durchführte, an ihrem Hals festband! Sie spielte damit sehr schön!

 

Auch die Violinschule von Leopold Mozart zeigt auf 3 Stichen, wie man die Geige halten, bzw nicht halten soll. Die Unterschiede sind für mich allerdings leider nicht wirklich deutlich. Auch tragen die abgebildeten Herren schöne Frisuren und dicke Jacken mit großen Krägen und Spitzenschals im Ausschnitt, was schon fast als Schulterstützen durchgehen könnte! Als ich meiner Geigenlehrerin sagte, dass ich mir einen Gehrock mit dickem Kragen zulegen möchte, wandte sie ein, dass es auch historische Abbildungen von tief dekolletierten Geigerinnen gäbe, bei denen sich die Geigen völlig natürlich an nackte Schultern und Hälse schmiegen.  Überhaupt sei die Schulterstütze erst im 20. Jahrhundert üblich geworden und auch Kinnhalter werden nicht schon immer verwendet.

Das Normale beim Geigen ist das Spielen ohne beides, nicht andersrum!

 

Langer Rede kurzer Sinn: inzwischen hat mein Körper den Weg zum besten Platz der Geige gefunden. Sie liegt bei nicht zu anspruchsvoller Literatur größtenteils sicher am Hals und der linke Arm hat ausreichend Muskulatur, um sie auch länger in die Höhe zu halten. Bei Lagenwechseln nach unten klemme ich die Geige kurz zwischen Kinn und Saitenhalter (klappt meistens!), und hier ist der entscheidende Punkt: die Geige liegt dort zwischen Schlüsselbein und Kinn, wo das kurze Einklemmen am besten gelingt. Wie praktisch, dass das auch der Ort ist, an dem sie am wenigsten wackelt!

 

Der Weg zu diesem Ziel war, Geduld zu haben, einfach nicht aufzugeben und ganz langsam ein inneres Bild zu entwickeln, dass die Geige nicht zwischen Schulter und Kinn geklemmt werden muss, sondern dass sie Großteils einfach am Hals liegen darf. Dass insgesamt alles viel lockerer sein darf und sogar muss: der Griff der linken Hand am Griffbrett, der Druck der Finger auf den Saiten, der Griff der Bogenhand um den Bogen, der Druck auf die Saiten, alles darf locker und beweglich sein, sich der jeweiligen Anforderung spielerisch anpassen. Das alles brauchte bei mir Zeit (fast 3 Jahre, aber ich übe leider nicht gerade viel), denn die andere Haltung mit Schulterstütze und Kinnhalter war so viel Jahre eingeübt und gab vermeintliche Sicherheit! Wenn auch mit größer werdenden Problemen wegen zu großer Verspannungen …

 

Mein Fazit ist: es gibt wohl keine standardisierte Lage der Barockgeige am Körper, es scheint mir eine sehr individuelle „Platzfindung“. Und es ist immer wieder ein Wunder, wie der Körper durch bewusste Beobachtung und Vorstellungs-Schulung und durch unbewusste Prozesse in der Lage ist, zu lernen und Probleme zu lösen, die man ihm geduldig über einen längeren Zeitraum stellt. Das begeistert mich inzwischen ungemein!

 

Es macht mir jetzt großen Spaß, ich spiele auch die moderne Geige meistens ohne die besagten Hilfsmittel -  und der Daumen tut auch nicht mehr weh.

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1 kommentar


Sehr interessant geschrieben, liebe Margret. Dass der Körper schon seine eigenen Lösungen findet, wenn wir ihn nur lassen und nicht übereifrig eingreifen, das ist eine wichtige Erkenntnis. Trotzdem brauche ich noch mein Schulterkissen für Lagenwechsel nach unten. Aber ich spiele ja auch erst zwei Jahre barock. Du musst mir in der nächsten Probe mal zeigen, was Du machst. Du siehst jedenfalls immer sehr elegant aus.

Gilla
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